Der mit dem Stahl tanzt

Der Gmünder Bildhauer Eckhart Dietz wird heute 80

Er ist immer noch voller Bewegungsdrang. Der Gmünder Bildhauer Eckhart Diez. Am heutigen Donnerstag wird der Mann mit der Baskenmütze 80 Jahre alt.


VON WOLFGANG NUSSBAUMER

An seinem Siebzigsten hat er bekannt, dass ihn die "Alterswildheit" gepackt habe. Zehn Jahre später ist keine Änderung dieses Zustands in Sicht. Deutlich sichtbarer Beweis ist die Ausstellung, die ihm die Stadt Aalen in ihrer Rathausgalerie gewidmet hat. Metall in Bewegung, wohin man schaut.

Unlängst hat er bei einem Künstlergespräch im Ostalbkreishaus in Aalen während der Vernissage der Ausstellung "Rück:Sicht" – 40 Kunstwerke, 40 Jahre Ostalbkreis" leidenschaftlich für die Freiheit der Kunst und gegen jegliches Schubladendenken plädiert. Eine taufrische Frauengestalt in Mischtechnik zeugt dort von der gestalterischen Dynamik, die unter der Mütze pulsiert. "Ich arbeite schneller als früher", hat er in der Gesprächsrunde bekannt. Je älter man wird, umso knapper wird die Zeit. Aber auch so wird ein Schuh draus: Die Erfahrung beschleunigt die Handschrift. Eckhart Dietz jedenfalls taugt nicht für das Klischee "altersweise".

In der permanenten Auseinandersetzung mit der Bewegung bleibt er ungemein beweglich. Beharrlich lotet er in seiner künstlerischen Arbeit den Zusammenhang zwischen Gestalt und Ausdruck aus, wie er sich für ihn vor allem in der Bewegung manifestiert; als körperliche Aktivität ebenso wie als emotionales "Bewegt-Sein". Seine Bewegungsstudien haben etwas Spielerisches.

Das kommt nicht von ungefähr. Gespielt hat der aus einer Schulmeisterfamilie mit ausgeprägt klerikalem Charakter stammende Künstler schon immer gern. Der Großvater war Pietist – "da war Bildhauerei ohnehin Sünde", erinnert er sich schmunzelnd. Was den Enkel jedoch nicht vom sündigen Lebensweg abhielt. Schon früh hat er seine Liebe zu Marionetten entdeckt und die Vielfalt ihrer Bewegungsmöglichkeiten. Eine Liebe, die sein Professor an der Kunstakademie keineswegs teilte. Vielleicht hätte er Kleist lesen sollen, um den Studenten Dietz zu verstehen.

Eigentlich wollte dieser ja dem familiär bedingten pädagogischen Impetus nachgeben. Aber statt als Lehrer verließ er die Hochschule als Bildhauer. Ein "Opfer" der Prüfungsordnung, erinnert er sich. Sie ließ nicht zu, was er geplant hatte. Mit 80 kann er darüber nur noch mit den Schultern zucken. Nach dem Staatsexamen 1959 hat er in der Türkei "ein halbes Jahr lang an der Freiheit geschnuppert". Der Freiheit zu tun und zu lassen, was er wollte. Diese Erfahrung hat ihm gefallen, sicher nicht zuletzt vor der Folie der am Bosporus herrschenden realen Verhältnisse.

Die Freiheit war ein hohes Gut. Er hat es in Ehren gehalten. Nie habe er bei öffentlichen Wettbewerben mitgemacht, versichert Eckhart Dietz. Er wollte in seiner Kunst nicht "fremdbestimmt" sein. Vielleicht haben ihn auch seine Erfahrungen als Berater der Landesregierung in Fragen von Kunst am Bau von solchen Abenteuern abgehalten.


"Das größte Wunder ist, dass ich existiere."

Eckhart Dietz


Ohnehin ist der große hagere Mann wohl sich selbst das größte Abenteuer. "Das größte Wunder ist, dass ich existiere", meint er lächelnd, während seine Hand im Atelier im Georgishof den Zeichenstift locker über ein Blatt Papier gleiten lässt. Seit 40 Jahren geht er in dem mit Plastiken und deren Entwürfen vollgestopften Atelier seinem künstlerischen Tag- und Nachtwerk nach. Das reicht offensichtlich zum Überleben.

Voll Stolz erzählt Eckhart Dietz, dass er "98 Prozent" seiner Zeit für die Produktion, also für die Kunst, investiere. Für ihn ein großes Privileg. In einem Alter, in dem andere sich schon in Richtung Lehnstuhl orientieren, hat er sein altes Thema Tanz und Bewegung wieder für sich entdeckt. Zehn Jahre sind es mittlerweile her, dass er den Blick in eine Disco gewagt hatte und von "der irren Choreografie der Körper" gepackt worden war. Mit Block und Zeichenstift kehrte er zurück. Um das dynamische Wogen der Menschen auf der Tanzfläche festhalten zu können, musste er sich eine ganz andere Technik angewöhnen. "Du zeichnest, wie ich Schlagzeug spiele", hat ihm ein Drummer attestiert. Vielleicht sei das eine Form von "Alterswildheit", stellt Dietz trocken fest.

Was der Achtzigjährige tut, tut er aus Überzeugung. Nach wie vor gilt es für ihn, die Natur, "die große Lehrmeisterin", zu überwinden. Beispielsweise mit elementaren geometrischen Formen und deren Veränderungen die Choreografie von Bewegung zu beeinflussen, den Ausdruck zu verändern. Eigentlich paradox, mit dem widerständigen Metall den biegsamen Tanz zu feiern. Das beschäftigt ihn "Tag und Nacht". Zugute kommt dem Bildhauer dabei seine jahrelange Beschäftigung mit wahrnehmungspsychologischen Phänomenen; Dietz hat sich mit Biologie und Physik befasst und fast sechs Jahre über die Gestaltvarianten gearbeitet, die ein Doppelparallelogramm bietet.

Zwei Bücher resultieren aus dieser Beschäftigung. Fast wäre aus dem freien Bildhauer doch noch ein besoldeter Hochschullehrer geworden – damals, Ende der Sechzigerjahre, als der junge Wilde, der mit Kollegen wie Sommer, Kloss und Giers die Gmünder Szene aufgemischt hatte, als Lehrstuhlvertreter an der Akademie versuchte, "den Mief unter den Talaren etwas zu beseitigen". Vorgeschlagen für den Job hatten ihn die Studenten. Die Achtundsechzigerbewegung sei schon eine Riesenzäsur gewesen. "Wegen der Politik" habe man viele Themen bewusster angegangen.

Dietz erzählt von seinen zwei Jahren als Hauskünstler an der PH Ludwigsburg und am Physikalischen Institut in Stuttgart. Wechselseitig hätten sich Probleme der Physik und der Kunst und die jeweiligen Lösungsmöglichkeiten befruchtet. Der Mann aus Gmünd war ein gefragter Gesprächspartner und sein Sachverstand begehrt. Nicht nur im Amt des zweiten Vorsitzenden seines Berufsverbandes. Irgendwann hat Eckhart Dietz dann gemerkt: "Ich fing an, viel zu reden und wenig zu arbeiten", wie er sich bei dem schon erwähnten Künstlergespräch im Landratsamt erinnert hat. Da hat er sich dann endgültig "für die Narrenfreiheit des Künstlers" entschieden.

Das heißt heute für ihn, "seit 35 Jahren unbeeinflusst von allen Strömungen das zu tun, was mir gefällt". Das scheint nach wie vor gut zu funktionieren. Versichert der Mann mit der Baskenmütze doch fern aller Ironie: "Ich leide keinen Hunger und habe keine Schulden."

Quelle: Schwäbische Post 31.10.2013 - www.schwaepo.de

Website von Eckhart Dietz